Kopf des Tages Al Capone
Er war das Symbol für das organisierte Verbrechen schlechthin: Im Oktober 1931 wurde Al Capone zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Sein Mythos wuchs nach seinem Tod weiter – das lag vor allem an einer Charaktereigenschaft.
| Lesedauer: 4 Minuten
Von Philip Cassier
Textchef ICON / Welt am Sonntag
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Wenn er nicht gerade Menschen persönlich abschlachtete, sie mit einem Baseballschläger krankenhausreif schlug oder Familien in den Ruin trieb, galt der Mann eigentlich als ganz netter Typ. Als einer, mit dem man reden konnte, als einer, der zur Versöhnung bereit war – und sogar als einer, auf dessen Wort man sich verlassen konnte. Und so passen die beiden berühmtesten Aussprüche, die von Al Capone überliefert sind, wohl tatsächlich als Leitfaden für sein ganzes Leben: „Verwechsele nie meine Freundlichkeit mit Schwäche“, lautete sein Rat an alle, die mit ihm zu tun hatten.
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Sein zweiter Aphorismus ist eher allgemein-philosophischer Natur: „Mit einem netten Wort und einer Kanone in der Hand kommt man viel weiter als mit einem netten Wort allein“, beschied der Jahrhundert-Verbrecher, den eine Jury in Chicago am 17. Oktober 1931 der Steuerhinterziehung für schuldig befand. Das Strafmaß von elf Jahren Haft und einer Summe von 50.000 Dollar waren lächerlich angesichts seiner viel größeren Untaten, von denen alle wussten, die aber nie jemand hatte nachweisen können.
So wird das Leben dieses Mannes auch zu einem idealtypischen Beispiel für die Grenzen des Rechtstaates und seines Grundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten“. 1899 im New Yorker Stadtteil Brooklyn als Sohn neapolitanischer Einwanderer geboren, kam Alphonse Gabriel Capone früh mit dem organisierten Verbrechen in Berührung. Schon als 15-Jähriger wurde er Mitglied der „Five Points Gang“ unter dem Kommando Frankie Yales – der Mobster kümmerte sich im Viertel um die Schutzgelderpressung. Der war kein tumber Totschläger, sondern jemand, der wusste, dass Gewalt allein selbst in seinem Geschäft keinen dauerhaften Erfolg sichert.
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1917 zog dann der Gangster Frank Gallucio in einer Kneipe Al Capone ein Messer durchs Gesicht, weil der mit Gallucios Schwester geflirtet hatte. Der Spitzname „Scarface“ war geboren, später machte Capone den Angreifer zum Leibwächter, eine von vielen ungewöhnlich freundlichen Gesten. Kurz darauf erschoss Capone seinen ersten Mann, bekam Ärger mit einer irischen Gang, schlug einen Mobster eigenhändig halb tot, konnte wieder nicht dingfest gemacht werden und musste New York in Richtung Chicago verlassen.
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Dort fand er für seine kriminelle Energie die denkbar fetteste Weide vor. Prostitution und Glücksspiel blühten in der Stadt im Norden der Vereinigten Staaten seit den 1870er-Jahren mit Deckung der Politik, nun kam 1920 auch noch das Geschenk des Alkoholverbots hinzu. Capone fing klein an, arbeitete als Rausschmeißer, fiel aber schon bald örtlichen Größen jenseits der Cosa Nostra auf. Zur berühmtesten Mafiaorganisation fand er als Sohn neapolitanischer Einwanderer nie Zugang, denn in dieser regierten Sizilianer.
Auch die richtigen Politiker wusste Capone bald erst zu umgarnen und dann zu schmieren, sodass der Gangster bald an der Spitze des bedeutendsten Syndikats stand. Offiziell ging er dem Beruf eines Antiquitätenhändlers nach. In den Bandenkriegen um die Mitte der 20er-Jahre entstand sein Mythos.
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Er war ein Mobster, der notfalls selbst zur Waffe griff oder Konkurrenten mit dem Baseballschläger bearbeitete, aber auch ein Liebhaber von klassischer und Jazz-Musik; er war ein Dauergast in den Bordellen der Stadt, sodass er sich 1928 die Syphilis holte, heiratete aber eine irisch stämmige Frau, was es sonst unter Italoamerikanern nicht gab, die stets zu ihm hielt; er war großzügig gegenüber anderen und verschwenderisch sich selbst gegenüber; er verlor riesige Summen beim Glücksspiel, und doch machte es ihn reich, und das unfassbarste Wunder war und bleibt, dass er mit all seinen Morden wieder und wieder davonkam.
1929 musste er erstmalig in Haft, 1931 dann die lange Strafe. Im Gefängnis gab Capone den Musterhäftling, er arbeitete auf Alcatraz als Schuhmacher, hielt sich aus allen Revolten heraus, büßte aber dadurch an Status ein. 1939 entließ man ihn vorzeitig wegen guter Führung. Er lebte noch bis 1947, dann hatten Spätfolgen der Syphilis ihn endgültig dahingerafft. Posthum wurde er in zahllosen Filmen wie Brian De Palmas „Die Unbestechlichen“ mit Robert De Niro in seiner Rolle zum Hollywoodstar.
Die große Frage, ob seine Verbrechen sich für ihn ausgezahlt haben, bleibt den Betrachtern seines Lebens überlassen. Doch eins steht fest: Seit seiner Inhaftierung 1931 wurde Al Capone seines Lebens nicht mehr froh.
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Dieser Artikel wurde ursprünglich im Oktober 2021 veröffentlicht.